17. Februar 2011

Warum ich eine OZ brauche

Stellen Sie sich bitte vor, ein Usedomer Redakteur begäbe sich in die Peene-Werft Wolgast, beobachtete und befragte ein paar Stunden lang einen Schlosser und schriebe über dessen Tätigkeit einen langenlangen Text (mehr als 840 Wörter), auf dass die Seite befüllt werde. Würden Sie dafür bezahlen und das Gekaufte lesen? Vielleicht würden Sie es tun; schließlich haben Sie dafür Geld ausgegeben, und außerdem: Wer weiß, vielleicht erführen Sie ja doch Neues, Interessantes.

Die Redaktion verkaufte heute ihren Lesern als Aufmacher auf der ersten Lokalseite, was Polizisten so tun (?):
Abseits der Gleise
Lange bevor heute der Castor-Transport in Lubmin einrollen soll, haben sich Beamte aus ganz Deutschland in der Region postiert. Ein Blick in den Alltag der Einsatzkräfte. ...
Ein paar Zitate:
... Auf den Feldern vor dem Bahnübergang Brünzow, fünf Kilometer vor Lubmin, drehen sich in aller Ruhe die Windräder. Eine eisige Brise fegt in Richtung der Gleise. Zwei Einsatzfahrzeuge mit neun Hamburger Polizisten und zwei Fahrzeuge der Berliner Pferdestaffel stehen davor. ... „Das Problem war vor allem das Wetter. So einen Wind sind wir nicht gewohnt“, erzählt der Hamburger Tim Neumeyer, steigt in den warmen Einsatzwagen und zieht die Tür hinter sich zu. ...
Ja die armen Polizisten; müssen sich wahrscheinlich halbnackt dem Wind aussetzen - von militant-meteorologisch versierten, vorpommerschen Atomgegnern aus dem Polargebiet abgezweigter Wind, haarscharf auf die Polizeier gelenkt (mit Lenkdrachen?). Leiden Sie noch nicht mit? Vielleicht klappt es jetzt:
„Das Schlimmste ist jedoch, wenn einer von den Kollegen verletzt wird.“
Ja, das ist bitter. Diese militanten, gewaltbereiten Transportstörer aber auch. Da können die Leser verstehen, dass die Störer ruhig eins in die Fresse bekommen können, wie heute Morgen geschehen, ist nicht so schlimm, als wenn ein Kollege verletzt wird. Jedoch:
Das sei seinem Team bisher noch nicht passiert, am Rande des umstrittenen Transports des radioaktiven Mülls ins Zwischenlager Lubmin, um das das Schreckgespenst Endlager geistert.
Ach, ist noch gar nicht passiert. Vielleicht war die Prügel dann nur vorbeugend?

Ansonsten ist das Endlager kein Gespenst, sondern könnte real werden, falls die Gegenwehr nicht stark genug ausfällt. Ich persönlich halte das Endlager so wenig für ein Gespenst wie ich das Füllen des Zwischenlagers mit Fremdmüll 15 Jahre lang für ein Gespenst hielt. Es wird gerade heute wieder mit Fremdmüll gefüllt. Dass es ein Gespenst sei, haben Unternehmer und Politiker den Ahnungslosen eingeredet, bis viele, viel zu viele, es glaubten. Dasselbe passiert gerade wieder, auch mit diesem überlangen Artikel.
Noch vor der Dämmerung, um 4.30 Uhr, beginnen die Tage vor dem Castor-Transport für die neun Hamburger Beamten ...
Ich leide mit ihnen, wenn ich Zeit habe.
Bahnübergang bewachen. Abschnitt bestreifen. „Und eingreifen, wenn zum Beispiel ein Traktor bei den Gleisen stehenbleibt“, erklärt Neumeyer. Gegen 19 Uhr kommt die Ablösung.

Zurück ins Hotel. In den Bereitschaftsdienst, keine Freizeit. 
Ja, schlimmschlimm, was müssen die Polizisten alles durchmachen - ganz ohne Überstundenbezahlung, ganz ohne Stundenausgleich nach dem Einsatz?
„Und am nächsten Tag das gleiche Spiel, hoffentlich“, fügt die Gruppenführerin Claudine Lemke hinzu. „Wenn es zu einer Ad-hoc-Lage kommt, es von Null auf Hundert geht, dann ist man schnell bis zu 17 Stunden im Einsatz.“ ...
Auch das noch: Sollten sich Gleisblockierer niederlassen, muss zur Strafe noch länger Dienst geschoben werden. Da kann schon mal die Faust ausrutschen, wegen Übermüdung oder so.
Angst habe er nicht, sagt Tim Neumeyer und lächelt. „Höchstens vor dem Erfrieren.“
Deshalb zur Erinnerung aus der Anfangspassage des Textes:
„Das Schlimmste ist jedoch, wenn einer von den Kollegen verletzt wird.“
Häh? Also ist damit dann wohl gemeint, dass die Kollegen einander verletzen könnten. War da nicht was in Afghanistan, das mit einem Toten endete?

Ja und dann die Pferde:
So geht es auch den beiden Reiterinnen, die draußen bei den Schienen gerade aufsitzen. Fast graziös könnten Melanie Pages und Ramona Lehmann auf ihren hochgewachsenen Pferden Dexter und X-Ray wirken — im Sommer. Jetzt sind sie eingepackt nach dem System Zwiebel. „Die Pferde sind ideal für unwegsames Gelände und man hat einen guten Überblick“, erklärt Ramona Lehmann aus mehr als zwei Metern Höhe über ihren bis zum Mund gewickelten Schal.
Wie schrecklich lange die Frauen reiten müssen, lassen wir mal aus, sonst kommen Ihnen noch die Tränen - wegen der Pferde.
Die elf mitgebrachten Pferde werden von einem Pfleger und den Reitern gut umsorgt, sagen die Polizistinnen. Leckerlis hätten sie auch dabei. 
Ach Gottchen, wie lieb.
„Auch die Demonstranten sind eigentlich immer lieb zu den Pferden“, sagt Pages.
Eine Liebe um und um; wer hätte das gedacht? Jedoch:
Wenn Steine fliegen, dann müssten sie die Tiere natürlich fortschaffen.
Auf der Rückbank eines Einsatzwagens lehnt sich ein Polizist zurück und schließt die Augen. Ein anderer kaut an einem Apfel aus seinem Lunchpaket. Zehn Euro sind täglich pro Person veranschlagt ...
Jetzt aber her mit dem Mitleid: Denen geht es ja nicht viel besser als Alg 2-Berechtigten, ach nein, doch nicht. Alg 2-Berechtigte erhalten für Lebensmittel monatlich 132,83 €. Großzügig gerechnet sind das 4,45 € pro Tag. Und das ist schon nach Auffassung des Vizekanzlers und Menschenfreundes (fragt sich bloß, welche Menschen) spätrömisch-dekadente Völlerei. Zehn Euro müssten demnach der Einzug ins Schlaraffenland sein.

Dann wird ausführlich die Küche der Polizisten geschildert - zum Einschlafen. Deshalb nur so viel:
Entlang der Bahnstrecke bekochen die Süddeutschen die Kollegen in mobilen Küchen. „Kräftige Suppen, Geschnetzeltes oder Gulasch sind beliebt“, sagt der 24-jährige Küchenchef. Auch koschere und vegane Kost gibt es, auf dem Frühstücks- Büfett stehen Bio-Eier. Das dürfte auch vielen Aktivisten gefallen. ...
Den Sinn des Satzes verstehe ich nicht. Dürfen sich Demonstranten auch an den Polizeiküchen schlaraffisch laben? Oder heißt es, tritt ein Zivilist heran: Ätschbätsch, ihr Hungerleider! Das habt ihr nun von eurer Windablenkerei.?

Falls wieder solche Demonstrationen sein müssen, gehe ich hin, mit der OZ in der Hand, weise dann auf den langlangen Artikel und verlange schlaraffisch-kräftige Kost. Mal sehen, vielleicht ließe sich eine Reportage daraus schreiben.

1 Kommentar:

  1. Anonym17.2.11

    Mir kamen bei dem Artikel auch die Tränen...ha, ha,ha.
    Dieser Artikel erinnerte mich sehr an das Geschreibe zu dem Gutmenschen aus Dänemark, der 4 Stunden Zeit brauchte, um nach Hause zu kommen.
    Gut das wir diesen Gutmenschen schon dorthin geschickt haben.
    Leider hat er seine, als allein Geschäftsführer geführte Firmen noch nicht aus Rubenow mitgenommen.
    Warscheinlich wartet er noch auf seine Gelegenheit, doch noch hier in Lubmin neu aufschlagen zu können?

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