10. Februar 2010

Falsches, Einseitiges, Verschwiegenes

Das sog. Hartz 4-Gesetz, mit dem Geld gespart werden sollte, hat zu mehr Ausgaben geführt und Millionen Menschen ihre Würde genommen. Was machte die OZ aus diesem Thema?

Dass in der OZ so gut wie niemand gewohnt, in der Lage oder willens ist nachzufragen, zeigt dieser Satz aus dem Aufmacher auf der Titelseite zum Urteil des Verfassungsgerichtes über das sog. Hartz 4-Gesetz:
Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) wertete das Urteil gestern als „ein klares Plädoyer für mehr Menschenwürde“.
Das hätte nachgefragt werden können, etwa so:

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen. Das heißt doch wohl, dass die rot-grüne Regierung und ihre Nachfolgerin per Gesetz knapp sieben Millionen Menschen über fünf Jahre hinweg menschenunwürdige Verhältnisse aufzwang und es auch in diesem Jahr noch tun darf. Von mehr Menschenwürde kann doch keine Rede sein, sondern nur davon, die Würde dieser Betroffenen wiederherzustellen. Sehen Sie das anders?

Aber auf diese und viele andere Fragen kann niemand in den Redaktionen kommen, weil in ihnen Regierungsergebenheit herrscht, weil Grundkenntnisse der sog. Hartz-Gesetzgebung fehlen.

Wie wenig interessiert die OZ an den Hintergründen der Lebensverhältnisse von Alg 2-Berechtigten ist, zeigten nicht nur die Zeitungen der vergangenen fünf Jahre, sondern auch ein Artikel auf der gestrigen Blickpunktseite, in dem das Leben einer alleinerziehenden Alg 2-Berechtigten geschildert wurde. Der Text begann so:
Frisch - ist es in der Wohnung der Müllers im vierten Stock. „Ich heize so gut wie gar nicht“, sagt Mutter Marlies, und sie sagt es eher stolz als beschämt. Es ist ein harter Winter, und sie will die Heizkosten im Rahmen des Abschlags halten, den die Arge monatlich übernimmt.
Die Autorin kam gar nicht auf die Idee, genau hier nachzuhaken: Warum müssen die Frau und ihre Kinder frieren? Müssen sie überhaupt frieren? Warum fragte die Autorin nicht in der Arge nach oder z.B. im "Dau wat" e. V. Rostock? Hätte nämlich herauskommen können, dass die Frau und ihre Töchter nicht zu frieren brauchten. Sicherlich dürfen sie nicht heizen, was die Heizkörper hergeben, doch frieren wie beschrieben müssen sie nicht. Wäre die Heizkostenrechnung nach diesem Winter höher als die Pauschale, die die Arge zahlt und die Arge verweigerte eine Nachzahlung, könnte die Frau Widerspruch einlegen. Würde der abgelehnt, müsste sie klagen mit guter Aussicht auf Erfolg. Rat und Hilfe bekäme sie z.B. in o.g Verein.
Das ist einigermaßen eindeutig geregelt, doch die Autorin hat keine Ahnung, nichts Neues in der OZ, wenn es um die sog. Hartz-Gesetze geht:

Heizkosten sind (als Brennstoffbeihilfe) in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, soweit sie nicht aufgrund unwirtschaftlichem Verhalten unangemessen hoch sind. Nicht zu den Heizkosten zählen die Kosten der Warmwasserbereitung; diese sind mit der Regelleistung abgegolten.

Auch kam die Autorin nicht auf die Idee nachzufragen, warum die Mutter ihre Kinder lieber frieren lässt, ob sie wüsste, wo sie Rat und Hilfe erhalten könnte.

Ein Berliner Zuarbeiter kommentierte das Urteil des Verfassungsgerichtes:
... Die bisherigen Regelsätze für Heranwachsende ... grenzen aus. ... Gegen diese soziale Verwerfung hat Karlsruhe nun ein klares Stoppzeichen gesetzt. Damit hat das Bundesverfassungsgericht kein Leben in Saus und Braus auf Staatskosten angeordnet, wohl aber den Fokus auf das Wohl der Kinder, auf deren tatsächlichen Bedarf ausgerichtet. ...
Das mit dem Fokus ist falsch. Das Gericht hat alle Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Alle fast sieben Millionen Betroffenen werden ausgegrenzt. Das blendete der Kommentator aus, Alltag in der OZ.

Die OZ zeigte ihre Regierungsergebenheit schon in der Schlagzeile eines Berichtes zum Thema:
Hartz IV: Regierung will schnelle Korrektur
Falsch! Das Gericht verlangt eine rasche Korrektur bis Ende 2010. Dem Verlangen hat die Regierung nachzukommen.

Unerwähnt blieb diese Forderung des Gerichtes:

Der Gesetzgeber ist ferner verpflichtet, bis spätestens zum 31. Dezember 2010 eine Regelung im SGB II zu schaffen, die sicherstellt, dass ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf gedeckt wird.

Betroffenen ist dieser Bedarf schon jetzt zu gewähren. Der Berliner Anwaltsverein empfiehlt: Betroffene können sich Informationen zu den möglichweise bestehenden Zusatzleistungen einholen und die Ansprüche auf diese überprüfen lassen.

In offenen Verfahren könne man nur jedem den dringend Rat geben, rechtzeitig Widerspruch einzulegen, um vom Urteil aus Karlsruhe zu profitieren ...

Es ist jetzt schon klar, dass sich aus dieser Regelung der nächste Anstieg der Zahlen von Klagen ergeben wird.
Niemand von der OZ fragte nach, wie sich das Urteil auf die Sanktionspraxis der Argen auswirken wird.

Hier noch Kommentare zum Urteil aus dem bösenbösen Internet:

... Die wichtigste Reform aller Zeiten! Es bezeugt die gesamte Misere, die ganze Kümmernis dieser Republik, wenn die angebliche Mutter aller Sozialreformen, dieser Wegweiser deutscher Sozialpolitik, nun in nicht unbeträchtlichen Teilen als verfassungswidrig anerkannt wurde. Was man nach einem solchen Urteil herauslesen kann, ist nicht nur die Verfassungswidrigkeit - man liest auch die Mittelmäßigkeit derer heraus, die Gesetze ohne jede soziale Verantwortung vorantreiben und erlassen. Man liest Ignoranz und Desinteresse heraus, ebenso Einfältigkeit und Dünkel. Ja, die vollständige Arroganz der Machthabenden schlägt durch. ...
Und das verfassungswidrige Einfordern, die jetzt verfassungswidrig erklärten Regelsätze pauschal um zwanzig, dreißig, vierzig Prozent zu stutzen (je höher die Forderung nach Kürzung, desto angesehener und umschwärmter der "Experte"), offenbart die gesamte Mentalität elitären Standesdünkels. ...

... Und was nützt die schönste verfassungsrechtliche Begründung eines individuellen Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, wenn weiter Geringverdiener gegen Hartz-IV-Empfänger aufgehetzt werden und die sog. Leistungsträger Hilfsbedürftige als Schmarotzer abstempeln?

Immerhin müsste die Tatsache, dass nach dem Urteil gegen die Jobcenter nun auch noch die Bemessung der Regelsätze für verfassungswidrig erklärt worden ist, die Politik mit der Nase darauf stoßen, dass die Hartz-Gesetze insgesamt das Grundgesetz strapazieren und endlich eine grundlegende Korrektur erforderlich wäre. Eine Korrektur nämlich, die die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot endlich zu einem konkreten Rechtsanspruch erheben würde ...

... Die wahren Sozialschmarotzer befinden sich auf der anderen Seite der sozialdarwinistischen Nahrungskette der Besitzgesellschaft.
Die paar Arbeitslosen können wir in einem der reichsten und industrialisiertesten (ergo produktivsten) Länder der Welt problemlos mitfinanzieren; wirklich teuer zu stehen kommt uns lediglich eine Geldelite, die inzwischen so stark mit der Politik verzahnt ist, daß Geld immer mehr zu Geld und Armut immer mehr zu Armut kommt, bis dieser Staat nich mehr zu halten ist.

3 Kommentare:

  1. Anonym10.2.10

    Die OZ will es nicht lernen. Ich bleibe dabei. Dieses Blatt hilft den Betrügern und die Sorgen der Menschen ist den Redakteueren völlig egal.
    Wäre es nicht im Interesse der Menschen, die hier zu Hause sind gewesen, hätte die OZ von der ARGE berichtet, dass diese Behörde im höchsten Maße gegen das Grundgesetz verstösst?!
    Das hat sie. Ich erinnere mich wieder an den Fall des Analphabeten, den diese Behörde so lange das Geld kürzte, bis er kein Dach mehr überm Kopf hatte.
    Das ist ein grober und eindeutiger Verstoss gegen das Grundgesetz und nicht zu rechtfertigen.
    Die Medien, würden sie nur wollen, könnten den Betroffenen eine Hilfe sein, aber nein, sie treten mit dem Geschreibe noch nach.

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  2. Reichardt11.2.10

    Sehr geehrter Blogger,
    ich bin die Autorin des zitierten Artikels. Dass ich "keine Ahnung" habe, möchte ich so nicht stehen lassen. Bei meinen Ausführungen zum Thema "Heizen" habe ich deutlich machen wollen, dass Frau Müller in Sorge lebt, die Heizkostenpauschale übersteigen zu können und dann Ärger mit der Arge zu bekommen - sie hatte ja bereits Ärger wegen der 5 Extra-Quadratmeter. Ich schreibe mit keinem Wort, dass die Arge zusätzliche Heizkosten nicht übernehmen würde, und das von Ihnen zitierte Gesetz ist mir durchaus geläufig. Einem aufmerksamen Leser wäre nicht entgangen, dass es in der Passage um Gefühle geht - Gefühle der Abhängigkeit, sicher auch der Scham, auch des Stolzes, nicht mehr Geld in Anspruch nehmen zu wollen, als unbedingt nötig - und nicht um den von Ihnen korrekt wiedergegebenen Sachverhalt, dass die Argen die Heizkosten zahlen.
    Ich hoffe, ich konnte etwas zur Aufklärung beitragen. Falls die Formulierungen zu undeutlich gewählt waren, so tut es mir leid.

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  3. Nur, was war an Ihren Artikel neu? War neu, dass Alg 2-Berechtigte in Sorge leben, dass sie wenig Geld haben und sich wenig leisten können? Das ist sogar OZ-Lesern bekannt. Nur hat die OZ jahrelang weitgehend vermieden, die Hintergründe zu schildern und zu zeigen, wie sich Betroffene wehren können und es auch tun. (Sie hat sogar mehrfach über Gesetzesverstöße durch Argen usw. berichtet, ohne es zu merken oder merken zu wollen.) Damit ist nicht gemeint, dass die OZ alle Jahre ein- oder zwei Mal berichtet, wie viele Klagen die Sozialgerichte zu entscheiden haben. Das ist kein Hintergrund, sondern Aufschreiberei. Das kann ich überall nachlesen, kostenlos.

    Hätten Sie ein Thema wie die Heizkosten aufgegriffen, hätten Sie am Speziellen wesentlich mehr zeigen können. Ich habe es bereits beschrieben, finde es entsetzlich und eben dehalb mehr wert als ein paar Sätze:
    Es geht darum, dass die Frau ihre Kinder lieber frieren lässt, als sich Rat zu holen und sich gegebenenfalls zu wehren.
    Die Passage weckt nun mal den Eindruck, dass die Frau zu den Heizkosten zuzahlen oder frieren muss.

    Wenn Ihnen das Gesetz geläufig ist, liegt es doch auf der Hand, mittels dieses Themas Hintergründiges sowohl über Gefühle, den Sachverhalt als solchem und darüber auszusagen, was die Hartz-Gesetze aus Menschen gemacht haben, übrigens auch aus jenen, die gegen die Betroffenen aufgehetzt werden.
    Dazu reicht es allerdings nicht, die Familie aufzusuchen und den Lesern dort Beobachtetes und Erfragtes zu schildern. Das kann nur der Ausgangspunkt für eine Recherche sein. Sicher mangelte es Ihnen an Zeit. Doch kann das für zahlende Leser ein Argument sein? Kann das ein Argument sein, wenn der Verlag eine Preiserhöhung unter anderem mit der Hochwertigkeit des Produktes OZ begründet?

    Natürlich gebe ich gern zu, dass es ziemlich neu für die OZ ist, überhaupt über die Sorgen einer alleinerziehenden Alg 2-Berechtigten etwas mitzuteilen. Nur hätte viel mehr daraus gemacht werden können.

    Machen Sie einfach weiter, kann etwas draus werden.
    Kleines Beispiel (außer den Heizkosten): Wegen kleiner Versäumnisse wird Alg 2-Berechtigten der Regelsatz um 30 Prozent usw. gekürzt, war kürzlich mit haufenweise Zahlen als Aufmacher auf der Titelseite zu lesen. Wie kommen solche Menschen über den Monat? Was tun sie, um nicht zu hungen? Das hätte z.B. in derselben Ausgabe wie die zahlenbehäufte Titelgeschichte auf der Landesseite stehen können. So verstehe ich Werthaltiges. Das Thema könnten Sie aber jederzeit nachholen.
    Noch ein Thema: Dadurch, dass Alg 2-Berechtigte nunmehr Sonderbedarf geltend machen können, werden jene, die bisher - vielleicht jahrelang - vergeblich versuchten, für Spezielles gesondert Geld zu erhalten, möglicherweise zum Ziel kommen. Woher hatten diese Leute das Geld, um den Sonderbedarf zu decken? Worauf haben sie verzichten, was haben sie erdulden müssen, weil sie das Geld nirgends auftreiben konnten? Wie bereiten sich die Argen auf den Anstieg von Widersprüchen vor, wie die Sozialgerichte auf den nächsten Schwall von Klagen?
    Auch dort ist viel Gefühl im Spiel und ebenso viel Hintergründiges zu entdecken und zu berichten, was nicht in jedem Blatt steht. Nutzen Sie dabei jene, die bisher schon versucht haben, diesen Leuten zu helfen.
    Ich vermute, Sie können das.

    Zu guter Letzt:
    Schön, dass Sie sich gemeldet haben. Darüber habe ich mich gefreut. Danke!

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