16. Januar 2010

OZ bleibt, wie sie ist

Wenn die OZ Ahnung von etwas hat, dann vom Vorbeischreiben an den Interessen der Leser. Ein bedrückendes Beispiel lieferte die OZ mit ihrer unsäglichen Doppelseite über den Neujahrsempfang. Diese Seiten wurden nicht für die Leser sondern für die Gäste gemacht, jedoch von den Lesern bezahlt.
Bis um 16.34 Uhr wollten vier Online-Leser wissen, was der Chefredakteur über die Pressefreiheit zu sagen hatte und fünf Leser interessierten sich für das Bekenntnis zur Region, das der Geschäftsführer ablegte.

Dagegen interessierten sich im selben Zeitraum 1535 Leser für diesen Bericht:
Hartz IV: Ansturm auf Sozialgerichte
Hartz IV vor Gericht: Rund 8000 Empfänger im Nordosten klagten 2009 gegen Entscheidungen der Behörden. ...
Der Text steckt voller Themen, die in der OZ seit Jahren fast wie ein Tabu behandelt werden, von den Online-Lesern aber offenbar erwartet werden (und die auch heute in einem Abwasch erledigt werden). Woher kommen sonst die vielen Zugriffe? Das Thema Arbeitsmarkt interessiert viele Leute, die hier zu Hause sind, auch wenn sie von den Hartz-Gesetzen (noch) nicht betroffen sind. Es müsste ein sog. Dauerbrenner sein im ärmsten Land Deutschlands.

Stattdessen zwei Seiten Neujahrsempfangs-Langeweile, die sich die OZ von den Lesern auch noch bezahlen lässt.

Der Aufmacher auf der Doppelseite beginnt so:
Musikalisch begann der Neujahrsempfang 2010 der OSTSEE-ZEITUNG gestern im Rostocker "Radisson Blu Hotel" mit einem Finale. Musiker der Norddeutschen Philharmonie spielten zur Eröffnung aus Mozarts Symphonie Nr. 33 das Schlussstück. "Als Auftakt ist ein letzter Satz einfach lustig", sagte Chefdirigent Peter Leonard, Intendant des Rostocker Volkstheaters. Die 330 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Wissenschaft und Medien sahen das offenbar genauso. ...
Wer wollte das wissen?
Der Text endet so:
"Medien sind eine Notwendigkeit", sagte Linke-Landeschef Steffen Bockhahn. Diese Gewissheit gilt natürlich immer, und nicht nur für den OZ-Neujahrsempfang.
Ich bezweifle seit Jahren, dass das Medium OZ in seiner jetzigen Form und mit seinem jetzigen Inhalt notwendig ist. Ich halte die OZ für weitgehend wertlos und deshalb für überflüssig. Dass der Polit-Kleinbonze die Medien (die OZ auch?) für unentbehrlich hält, nehme ich dem Mann natürlich ab, denn wie wollte er seine Ansichten sonst verbreiten? Er braucht die Medien als Sprachrohr, besonders die gedruckten, denn ein Leser der gedruckten Ausgabe kauft alles mit, was ihn nicht interessiert. Manch ein Leser wird dennoch lesen, was er gar nicht wissen will: Hab ja schließlich für die ganze Zeitung bezahlt.
Anders das Internet. Hier können sich Interessierte ihre Nachrichten nach Gutdünken zusammenstellen, z.B. über RSS-Feeds, kostenlos. Vor allem können sie auslassen, was sie nicht interessiert. Statt am Gängelband von Redaktionen gefangen zu sein, eigener Redakteur sein, das können mehr Menschen als die OZ-Redakteure ahnen. Und es tun immer mehr Menschen. Da mit einer komplett neuen Drucktechnologie zu prahlen, wie es der Geschäftsführer tat, ist deshalb sehr gewagt.
Ach, und das heimelige Rascheln der Zeitung am Frühstückstisch - endet mit schwarzen Fingern.

Der Geschäftsführer ließ einfach etwas aus in diesem Satz seiner Rede:
Alle drei regionalen Tageszeitungen in Mecklenburg-Vorpommern müssen sich großen Veränderungen stellen - sinkenden Bevölkerungszahlen, Rückgängen im Anzeigengeschäft, neuen Wettbewerbern im Internet. ...
Völlig uninteressant (oder peinlich?) ist dem Mann die Zahl der Zeitungskäufer, denn er erwähnte nicht, dass der Verlag immer weniger Exemplare verkauft. Lieber versucht er, das Versagen der OZ der sich verringernden Zahl potentieller Leser in die Schuhe zu schieben. Welch eine Selbstüberschätzung!

Die OZ büßte innerhalb der vergangenen zehn Jahre (3. Quart. 1999 zu 3. Quart. 2009) 22 Prozent der verkauften Auflage ein. Die Zahl der Abonnements verringerte sich sogar um 26,6 Prozent. Nicht einmal der sog. sonstige Verkauf (Zu welchem Preis pro Exemplar? Ich vermute, das sind die Probe-Abos.) von mittlerweile 3800 Exemplaren täglich konnte über drei Jahre hinweg den Verlust an verkaufter Auflage aufhalten.

Zu den Wettbewerbern im Internet:
Die OZ hat, wie die meisten anderen Verlage, das Internet verpennt. Statt zu einem ernstzunehmenden Wettbewerber im Internet zu werden, bevor es andere sind, humpelt die OZ bildlich weiterhin mit einem schrottigen Internetauftritt der Entwicklung hinterher, der nichts bietet (vom lokalen Altschnee abgesehen), das nicht hundertfach kostenlos im Internet angeboten wird.
Jetzt von den großen Veränderungen zu schwadronieren, denen sich der Verlag stellen will, zeigt die Hilflosigkeit des Unternehmens.

Auch dies wurde vom Geschäftsführer zitiert:
Und wir werden weiter investieren: In diesem Jahr bis zu sechs Millionen Euro in neue IT-Systeme - damit unsere Kollegen im Verlag und in den zehn Außenstandorten weiter auf dem neuesten Stand der Technik arbeiten können, damit wir noch besser, noch schneller werden.
Durch neue Computertechnik besser werden? Dass ich nicht lache!
Wir bekennen uns zum Standort, wir bekennen uns zur Region, zu den Menschen, die hier leben und arbeiten, und wir fühlen uns wohl hier.
Haben Sie es gemerkt? Der Bekenner hatte nicht gesagt: Weil wir hier zu Hause sind.
Da helfen alle Bekenntnisse nicht. Und noch dies: Gesetzt den Fall, das Unternehmen fühlte sich in M-V nicht wohl - wohin könnte es denn ausweichen? Also, was soll das Geschwafel? Vor allem, was hat das Geschwafel in der OZ verloren? Meinetwegen können Gastgeber und Gäste sich und einander beweihräuchern, so viel sie wollen. Doch sollten die Leser mit dem Käse verschont werden.

Der Chefredakteur:
... Aber wir brauchen diese kritische Berichterstattung wie die Luft zum Atmen, denn wenn das nicht mehr funktioniert, wenn Artikel verhindert werden können durch einen Anruf in der Chefredaktion oder bei der Geschäftsleitung - dann beginnen wir dorthin zu driften, wo die Presse in der DDR war ...
Was für eine kritische Berichterstattung? Was hat denn die OZ Kritisches geboten in Sachen Überwachung der Bürger?

Was hat die OZ Kritisches berichtet zur Armut im Land, über die verhängnisvollen Hartz-Gesetze? Es hält sich in sehr engen Grenzen. Ich kann mich jedoch an unsägliche Artikel erinnern, die von der Ahnungslosigkeit der Redakteure ebenso zeugten, wie von ihrer Voreingenommenheit Alg 2-Berechtigten gegenüber. Daran hat sich in fünf Jahren angewandter Hartzgesetze kaum etwas geändert.

Was berichtete die OZ über Dongs Projekt "Giftschleuder an Bodden"? Die Stammleser unter den Bloglesern wissen, dass die OZ Lügen und Propaganda verbreitete, dass sie Kleinstbonzen bildlich eine Bühne verschaffte, ihre Propaganda abzulassen. Die Stammleser wissen, dass die OZ weitgehend vermied, die wissenschaftlich begründeten Argumente der Kraftwerksgegner den Lesern zu übermitteln. Statt Leute, die hier zu Hause sind, zu porträtieren, die Lebenszeit und Geld aufwendeten, um den Bau der Giftschleuder zu verhindern, wurde ein seichtes Porträt über den Projektleiter Peter Gedbjerg veröffentlicht. Usw. Die sog. Berichterstattung der OZ über den verhinderten Giftschleuderbau ist ein vielfacher Beleg für das Versagen der Redaktionen, von Ausnahmen abgesehen.

Die OZ ist und bleibt ein Kampfblatt für Impfpropaganda. Kritische Berichterstattung kommt auf diesem Gebiet in der OZ nicht vor.

Usw.
... beginnen wir dorthin zu driften, wo die Presse in der DDR war ...
Wer ist wir, die Redakteure? Wer vor lauter Regierungsergebenheit und Unternehmerfreundlichkeit Schönschriften en masse produziert, driftet nicht mehr, sondern ist schon längst angelangt, wie jener, der drei Millionen Arbeitslose als normal ansieht.

Dann meinte der Chefredakteur, noch dies äußern zu müssen:
Wer seine Berichterstattung den Wünschen von Anzeigenkunden anpasst, Gefälligkeitsjournalismus zugunsten werblicher Inhalte betreibt, wird der Kernaufgabe von Journalismus nicht gerecht: Unabhängige Aufklärung zu leisten, auch wenn sie unbequem sein mag.
Genau, die OZ wird der Kernaufgabe des Journalismus viel zu oft nicht gerecht.

Wozu braucht die OZ also Pressefreiheit? Und wozu brauchen die Leser dann ein Blatt, für das sie auch noch bezahlen müssen?

Nachtrag, 17. Januar:

Die OZ berichtete, dass der Geschäftsführer während des Neujahrsempfanges eine Bekenntnis zum Standort ablegte. Die OZ berichtete jedoch nicht, dass währenddessen vor der Beweihräucherungshalle Gewerkschafter für den Erhalt von OZ-Arbeitsplätzen demonstrierten. Das war der Grund für den Protest:

Entgegen ihrer vorherigen Zusagen will die Geschäftsleitung des Blattes Teile der Verwaltung nach Leipzig verlagern. 

Spätestens jetzt wissen Sie, was der Chefredakteur unter kritischem Journalismus versteht und was von Bekenntnissen der Geschäftsführung zu halten ist.
Spätestens jetzt sollte klar sein, wie in den Redaktionen die Nachrichten ausgewählt werden, die für Sie wichtig zu sein haben und welche nicht.
Wie verbunden sich die OZ mit M-V fühlt, hatte sie bereits bewiesen, als sie Teile der Mantelredaktion nach Lübeck auslagerte.

Kritischer Journalismus - ich pinkle gleich ein vor Lachen. Die Redaktionen graben sich mit ihrer speziellen Auffassung von kritischem Journalismus und die Geschäftsführung sich mit ihrem falschen Bekenntnis ihr eigenes Grab.

5 Kommentare:

  1. Anonym16.1.10

    Dafür war auf der Doppelseite kein Platz:
    15.01.2010: Rostock/MVregio Mit einer Kundgebung haben heute (15.01.2010) Gewerkschafter für die Sicherung von Arbeitsplätzen bei der Ostsee-Zeitung protestiert.
    Siehe:

    http://www.mvregio.de/nachrichten_region/hro/331363.html

    AntwortenLöschen
  2. Anonym16.1.10

    Aberwitzig, was der Chefredakteuer
    schreibt. Das kann er doch selbst nicht glauben.
    Irgendwie scheinen solche Leute, wie regierungsergebene Schreiber, viele Politiker ... anders zu ticken.

    AntwortenLöschen
  3. Bemerkenswert ist daran auch, dass wiederum der Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten im OZEANEUM einen Tag zuvor ausschließlich in der Lokalausgabe Stralsund stattfand. Im Mantelteil nicht eine Silbe davon!
    Schon bemerkenswert.
    Wie auch die Offenbarung des Redakteurs, dass er in Biologie eine Niete war - oder wie kommen Pinguine in die Arktis?

    AntwortenLöschen
  4. @ Swantevit
    Wer Island in die Ostsee verlegt, wer vier Lebenshälften für ein Leben benötigt, wer zu 95 Prozent Unsinn über geologische Themen schreibt, darf auch Pinguine in die Arktis verlegen. Wen würde es wundern, wenn die OZ Eisbären in antarktischen Gewässern auftauchen lassen würde. Ich traue diesen Leuten alles zu, selbst wenn es um schlichteste populärwissenschaftliche Themen geht.

    Das sind genau die Leute, die für die zahlenden Leser auswählen, was für die Leser wichtig zu sein hat, z.B. den Beweihräucherungs-Empfang.

    @ anonym 1
    Ich habe einen Nachtrag geschrieben. Danke für den Hinweis.

    @ anonym 2
    Wenn Sie zahlender Leser sind und daran zweifeln, dass der Chefredakteur ernst meinte, was er sagte, fragen Sie ihn einfach.

    AntwortenLöschen
  5. Anonym18.1.10

    sehr schön beschriebener status quo der oz ...

    wenn die wirklich so blind und ahnungslos sind und obendrein noch 6 millionen euro versenken wollen, dann
    gehts mit dem sterben aber doch etwas fixer als gedacht ...

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Google